Ein Batman aus Indien

und eine Großmutter aus Deutschland

 

Greerton Early Childhood Centres / Tauranga / März 2011

 

Alle sind verkleidet im Centre, denn eine Pädagogin feiert ihr "happy leaving". Sie wird für eine Zeit nach Australien gehen.

Ein kleiner indischer Junge (3 oder 4Jahre alt) trägt ein Batmankostüm und schaut mich an. "Du siehst toll aus, wer bist du?" frage ich. Zur Antwort zieht der Junge seineBatmankapuze ins Gesicht und zwei schwarze Augen schauen "gefährlich" aus der Maske. "Toll, das sieht wunderbar aus!" . Er strahlt mich an und schiebt die Maske wieder zurück auf die Stirn. Er folgt mir zu einer Gruppe von Jungs. Sie bauen zusammen mit Plastikspielzeug eine "rescue station" (das Erdbeben in Christchurch beschäftigt auch die Kinder). Der kleine Batman spielt nicht mit.

 

Ich frage ihn, ob er mir sein Portfolio zeigen mag. Er sucht in den drei Körben, die im am Boden an der Wand stehen. Das dauert eine Weile. Ich sage ihm meinen Namen und frage nach seinem. Vielleicht lese ich ja seinen Namen auf dem Buchrücken. Aber gegenseitig können wir unsere Namen nicht verstehen, obwohl wir sie wiederholen. Wir schauen uns freundlich und forschend an. Ich denke, schade, dass ich ihn nicht verstehe, er denkt offenbar dasselbe.

 

Dann findet er sein Portfolio, setzt sich neben mich auf den Boden und das Vorlesen beginnt. Er zeigt auf Bildunterschriften und sagt "Lies das" und ich lese. Er ist der Dirigent und ich folge seinen Wiederholungswünschen. Das macht uns beiden Spaß. Wir schauen uns immer mal an und lachen.

 

Dann sehe ich zu meiner Überraschung, dass er auf einer ganzen Reihe von Bildern das Batman-kostüm trägt zu verschiedenen Anlässen: Beim gemeinsamen Marktbesuch, beim Spielen im Außengelände, beim Malen. Ich sehe noch ein großes Batman-Foto in "voller Maske" mit den gleichen strahlenden Augen, wie ich sie heute auch schon gesehen habe. Das Bild ist zerknittert vom vielen Anschauen und Blättern (alle Seiten sehen so aus). Er trägt die Maske also täglich und das schon lange. " Du bist oft Batman?" Versteht er meine Frage nicht, weil er sie akustisch nicht verstanden hat? Oder versteht er meine Frage nicht, weil kein Pädagoge hier auf die Idee kommen würde, ihm diese Frage zu stellen? ( Wir schauen noch das Portfolio an, bis es für ihn genug ist).

 

Nachdenken,

Austauschen,

Reflektieren,

Mitfühlen,

 

- besser gerüstet sein für magische Momente,

um Lerngeschichten schreiben zu können

 

Die Pädagogen akzeptieren hier offenbar die Entscheidung des Jungen, das Kostüm immer zu tragen. Er darf das. Niemand sagt ihm "Jetzt ist aber keine Batmanzeit, niemand ist jetzt verkleidet, wir gehen auf den Markt, genug mit Verkleidung". Seine ressourcenreiche Art mit seiner Situation umzugehen wird anerkannt. Er weiß wohl, dass Batman einer ist, der voller Power durch die Welt kommt. Ich finde wunderbar, dass ich auch keine Erklärung von den Pädagogen bekomme. Ich frage auch nicht nach. Warum auch. Er darf das und da gibt es auch keinen „therapeutischen“ Hintergrund.

 

Haben sich hier beim REVISITING zwei getroffen, die in einer ziemlich ähnlichen Situation sind? Beide sprechen die Sprache dieses Landes nur unvollkommen. Der Junge kommt aus Indien und ich aus Deutschland. Kathryn Delany, meine Gastgeberin von ELP, macht mich darauf aufmerksam mit dem Satz: „He knows your situation“.

 

Was mache ich denn in dieser Situation schon seit Wochen? Sieben Wochen haben noch nicht ausgereicht, um mein Englisch auf einen Stand zu bringen, dass ich alles sagen kann, was ich ausdrücken möchte. Gefühle, Gedankengänge, Wünsche, vieles , was in meinem Kopf vorgeht, bleibt auch dort.

Jedem Kind, das mit einer anderen Sprache in den Kindergarten kommt, geht es ebenso. Das bedeutet Isolation, Getrennt-Sein von den anderen, die eine gemeinsame Sprache sprechen. Da hilft nur, wenn ein anderer Mensch einen verstehen will, manchmal auch ohne Worte. Mir wurde durch meine eigene, ähnliche Situation erfahrbar, was ein Kind brauchen könnte, wenn es mit einer fremden Sprache zwischen anders sprechenden Menschen, fern von seiner Familie, den Tag verbringen muss. Ich bin erwachsen, kann mir helfen, habe Erfahrungen gemacht. Batman ist klein, hat weniger Erfahrungen. Wie stark ist der kleine Batman, dass er den Kontakt sucht und dabei noch spürt, dass er vielleicht mit Verständnis rechnen könnte! Er spricht ja gerade mich an, die als "gerade durch Neuseeland Reisende" verstehen könnte, was Fremd-Sein bedeutet !

 

Ich glaube, mir wäre die Gleichheit der Lage nicht aufgefallen. Ich brauchte Kathryns Hinweis: „He knows your situation“. Ihrer tiefen Empathie für Batman und für mich bedurfte es, damit ich meine eigene Situation von einer völlig anderen Seite anschauen konnte. Erst die Fähigkeit, die Gleichheit mit dem Kind zu fühlen, brachte  Verbundenheit und Mitgefühl in mir hervor.

 

Ist das der Weg, um magische Augenblicke im Lernen von Kindern, insbesondere von ganz kleinen Kindern, die noch nicht sprechen können, zu erkennen? Ist es die Erkenntnis, dass Gefühle gleich sind in gleichen Situationen, egal ob erwachsen oder Baby? Ist es das tiefe Mitgefühl, das frei ist von Mitleid? Ist es die Bereitschaft, gemeinsam zu reflektieren? Ist es die Freude daran, mehr zu erkennen, mit einem pädagogisch, professionell eingestellten Partner, der auffordert, sich in Mitgefühl zu üben? Ist das der Weg zu Lerngeschichten, die allen etwas bedeuten: Kindern, Pädagogen, Eltern?

 

In meiner Gastgeberin Kathryn  fand ich eine Frau, die mich in idealer Weise wie Batman behandelt hat, dem es in einem fremden Land gut ergehen sollte. Ich denke, sie war sich bewusst, dass in der Art, wie sie Gastfreundschaft praktizierte, die Lernchance für mich verborgen war, zu erkennen, wie der Geist von Learning Stories funktioniert. „ I know your situation“ steckte ja auch darin ( eine wohltuende Botschaft auch für eine Großmutter aus Deutschland !). Ihre anstoßenden, Denken und Gefühl anregenden Worte in der Batman - Geschichte zeigen es.

 

Ich bedaure, dass ich in Tauranga keine Lerngeschichte für Batman geschrieben habe. "Lieber Batman, Erwachsene sind manchmal nicht sehr helle und merken erst langsam, was wichtig ist..."

 

Über Learning Stories und das Early Childhood Curriculum Te Whâriki erfuhr ich auf   überraschenden Wegen oft mehr als ich mir erhofft hatte. 

 

Isolde Kock

https://bekanntesneuland.wixsite.com/my-site

 

Te Whâriki

Early Childhood Curriculum

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Das erste Te Whâriki von 1996