Ein Beitrag des Bayrischen Rundfunks
Von: Justina Schreiber 30.09.2011
"Die deutsche Mutter"
Ein NS-Bestseller mit langem Schatten
1934 erscheint der Ratgeber "Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind". Das Buch postuliert Härte und Gehorsam in der Erziehung. Seine Autorin Johanna Haarer ist glühende Nationalsozialistin - und ihre Thesen bestimmen das Mutterbild bis heute.
Es ist 1934, das zweite Jahr der NS-Diktatur. Johanna Haarer veröffentlicht ihren Ratgeber "Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind", der sich vor allem medizinischen Fragen und der Säuglingspflege widmet. Aber am Rande geht es natürlich auch um die "richtige" Erziehung, eine Erziehung zu obrigkeitshörigem Denken. Härte, Strenge, Disziplin und Distanz: Was die Ärztin Johanna Haarer in ihrem Ratgeber propagiert, entspricht dem Zeitgeist.
"Versagt auch der Schnuller, dann liebe Mutter, werde hart! Fange nur nicht an, das Kind aus dem Bett herauszunehmen, es zu tragen, zu wiegen, zu fahren oder es auf dem Schoß zu halten, es gar zu stillen."
Haarers Leben: Von wegen Unterordnung und Gehorsam!
Was Johanna Haarer als "richtige" Erziehung propagiert, gilt nur bedingt für sie selbst: Gegen den Willen ihres stramm nationaldeutschen Vaters macht sie nämlich als einziges Mädchen an einer Knabenschule Abitur, weil sie unbedingt Medizin studieren will. 1925 legt sie in München erfolgreich das Staatsexamen ab. Als 1933 Tochter Anna und ihr Zwillingsbruder auf die Welt kommen, gibt die mittlerweile in zweiter Ehe verheiratete Lungenfachärztin ihre Tätigkeit am Harlachinger Sanatorium auf und beginnt Kolumnen über Säuglingspflege zu schreiben, um das Familienbudget aufzubessern. Weil diese begeisterte Aufnahme finden, (es gibt damals keinerlei andere allgemeine Handreichungen zum Thema!), erscheinen ihre Empfehlungen 1934 zum ersten Mal in Buchform.
Johanna Haarers Ratgeber trägt zu einer allgemeinen Verbesserung der Hygiene und geringerer Säuglingssterblichkeit bei. Andererseits aber befördert er die Gleichschaltung der Erziehung, deren Ziel es letztlich war, williges Kanonenfutter zu produzieren. Neben weiteren Büchern zu Gesundheitsthemen und Erziehungsfragen verfasst Johanna Haarer auf Drängen der NS-Frauenschaft außerdem ein propagandistisches Kinderbuch: "Mutter, erzähl von Adolf Hitler!" Ihre Werke liegen nicht nur in den deutschen Wohnzimmern, sie bilden auch die Grundlage für Reichsmütterschulungskurse sowie die Kinderpflegerinnen-Ausbildung.
"Ich weiß nicht, ob man wie Hitler damals mit den deutschen Soldaten nach Russland ziehen und sie diesen Katastrophen und Entbehrungen aussetzen hätte können, wenn nicht diese Erziehung dahinter gestanden wäre!"
Anna Hutzel, Tochter von Johanna Haarer
Johanna Haarer hat Mutterbild und Erziehungsmaßstäbe der NS-Zeit geprägt. Doch der lange Schatten ihres Buches reicht weit in die Nachkriegszeit hinein: Der Ratgeber zur Säuglingspflege bleibt auch nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs auf dem Markt. Für die mittlerweile allein erziehende, fünffache Mutter Johanna Haarer bedeuten die regelmäßigen Neuauflagen eine wichtige Einnahmequelle. Denn ihr Mann bringt sich 1946 um, nachdem Johanna Haarer von den Amerikanern interniert worden ist. Nach ihrer Entlassung erhält sie als Ärztin keine Approbation mehr - sie kommt im öffentlichen Dienst unter. Der Titel ihres weiterhin anscheinend notwendigen Bestsellers lautet nun allerdings "Die Mutter und ihr erstes Kind" - wobei der Titel nur eine der wenigen offensichtlichen "Säuberungen" ist.
Ein Ratgeber, der bis heute wirkt
Das Original.
So richtig in Misskredit gerät der Ratgeber erst nach 1968, mit dem Aufkommen der antiautoritären Erziehung. Ein Kind nicht trösten, wenn es schreit? Ratschläge wie diese sind für die 68er und die nachfolgenden Generationen ungeheuerlich. Trotzdem bestehen Teile des Mutterbild der NS-Zeit fort. Die Autorin Johanna Haarer bleibt bis zu ihrem Tod im Jahr 1988 überzeugte Nationalsozialistin.
Und das Buch von Johanna Haarer, das eine Auflage von insgesamt 1,2 Millionen Stück erreicht, erscheint 1996 zum letzten Mal.