Das Herz des

Lerngeschichten Schreibers

 

Sind Kinder in Neuseeland interessanter ?

 

 

Sehr oft sah ich in Neuseeland Situationen, die ich gerne aufschreiben wollte. Sind Kinder in Neuseeland wirklich interessanter als in Deutschland? Nein, natürlich nicht. Ich war wach geworden für eine lebendigere Anteilnahme am momentanen Tun der Kinder.

 

Wenn wir Lerngeschichten aus Neuseeland lesen, könnten wir auf die Idee kommen, dass die Kinder dort einfach mehr Gelegenheit bieten, sie interessant und anrührend zu finden. Das ist ein Irrtum, den man korrigieren muss, wenn man ihm denn erliegt.

 

Die Qualität von Lerngeschichten hat nichts mit den Kindern zu tun. Die Wachheit findet in mir statt oder sie schläft. Ich kann mich für sie entscheiden und kann sie mitnehmen an jeden Ort, an dem ich gerade bin. Wenn ich dann noch an diesem Ort die Frage nach der Gemeinsamkeit stelle, besitze ich ein inneres, transportables Instrumentarium, um mich und Kinder in einer tieferen Weise zu verstehen und es macht auch noch Spaß.

Ich kann es nämlich steuern und ich habe es in der Hand, mich immer wieder überraschen zu lassen. Nebenbei gefragt: Ist das vielleicht Leadership, wie Wendy Lee sie beschreibt in "Leiten mit Herz und Seele"?3)

 

Dieses Instrumentarium ist subjektiv und stärkt die Beziehung zwischen mir und dem jeweiligen Kind, es ist verbindend und weckt eine positive Sichtweise auf mich, die Kinder, deren Eltern, die Kollegen und auf die Welt.

 

Wenn ich allerdings nicht wach bin in dieser Weise, erscheint mir der pädagogische Alltag und das Handeln der Kinder eher farblos und versinkt kräfteraubend in Routine. Diesen Zustand kenne ich sehr gut. Ich habe ihn bei mir selbst und bei Praktikumsbesuchen erlebt. Ich weiß inzwischen, dass ich den routinierten Blick nicht mehr will und dass ich ihn ändern kann. Ich kenne Einrichtungen, die ihn geändert haben. Denen geht es als Team richtig gut. Die Arbeit ist lebendiger, anerkannter und macht mehr Sinn.

 

 

Ich brauche Zeit für Lerngeschichten

 

Als die Gruppe der Neuseeländerinnen vom Educational Leadership Project /ELP# im Jahr 2012 in Deutschland war, ist mir ein Mülleimer aufgefallen, der von ihnen immer wieder zitiert wurde.

Der Mülleimer war die Aufforderung, den Alltag des Kindergartens nach nutzlosen Elementen zu durchsuchen und aufzuräumen. Lorraine Sands fordert in einem ihrer Artikel sehr deutlich und praktisch zum Aufräumen auf. Das kann ein Weg sein, um mehr Zeit für Kinder zu haben, mehr Zeit zum Lerngeschichten-Schreiben.

(siehe VERNETZUNG Infoseite 2)

Planung der pädagogischen Arbeit rund um Lerngeschichten, gepostet durch Lorraine Sands am 29. Nov. 2012 um 8.49 Uhr, Stichworte: Lerngeschichten, Lorraine Sands, Planungsgeschichten, Selbstreflektion, schick diesen Beitrag als e-mail, teile es mit auf Twitter oder Facebook.

# Elison Brierley, Jo Colbert, Kathryn Delany, Wendy Lee(Direktorin), Robyn Lawrence, Lorraine Sands

 

 

Ich brauche Lehrerinnen

 

Ich hatte ein paar Wochen Lehrerinnen in Neuseeland, die Wachheit in teilnehmendem Bewusstsein lebten. Ich hatte glücklicherweise oft Gelenheit, Kathryn Delany von meinen Beobachtungen in der Praxis zu berichten. (Kathryn Delany ist Fortbildnerin im Educational Leadership Project (ELP) in Neuseeland, www.elp.co.nz). Sie machte mich bei jedem Praxisbesuch darauf aufmerksam, was ein Kind und ich gemeinsam haben könnten. "Er kennt deine Situation" sagte sie einmal, als ein indischer Junge sich mir, zu meiner Überraschung, für eine lange Zeit des Vormittags anschloss.

 

Was habe ich mit dem kleinen Inder gemeinsam, der nur wenige Worte Englisch kann und der angeblich meine Situation kennt!?

 

Der Junge kam erst vor kurzer Zeit aus einem anderssprachigen Land (ich auch). Er suchte aktiv Kontakt (ich auch). Er wollte verstanden werden (ich auch). Er wusste, was es bedeutet, eine neue Sprache lernen zu müssen (ich auch). Er wusste, wie man sich fühlt, wenn man nicht verstanden wird (ich auch) er wollte gesehen werden(ich auch). Er vermutete vielleicht bei mir Verständnis weil wir so Vieles gemeinsam hatten. ER WAR VIER JAHRE ALT UND ER HAT DIE GEMEINSAMKEITEN GESEHEN - ich habe dies nicht gesehen mit meinen 63 Jahren. Wer ist hier der Lehrer?

 

An Kathryn Delanys Seite merkte ich, dass diese Art des Suchens nach Gemeinsamkeit die Distanz zwischen dem Kind und mir verringerte. Das geschah im Nachhinein durch ihr Interesse an dem Jungen und an mir und auch aus leidenschaftlichem Interesse am Austausch von eigenen Lernerfolgen unter Pädagoginnen.

 

Der kleine Junge hat nichts davon, aber ich umso mehr, da ich mich in diesem Prozess als weniger eingeschränkten Menschen/Pädagogen erlebe. (siehe oben L. Heshusius).

 

Es ist ungewohnt, solche Gespräche mit wachen Pädagogen zu führen und solche inneren Selbstgespräche zu trainieren, um Gemeinsamkeiten entdecken zu wollen.

 

Die Aufhebung der Distanz zwischen dem Selbst und dem Anderen ist eine Fähigkeit, die man trainieren kann und an die man sich erst gewöhnen muss. Ich habe sie zu schätzen gelernt, weil ich mich damit schlichtweg reicher fühle auch außerhalb des päadagogischen Zusammenhangs, ganz privat.

 

Ich wünsche allen Pädagogen so ein Übungsfeld, solche Lehrer, wie ich sie erlebt habe. Ich empfinde diese Lernphase in Neuseeland als eine Art Reichtum, den man nicht bezahlen kann.Ich glaube, dass es auch ohne eine Reise nach Neuseeland im Team klappen kann, wenn ein Team gemeinsam übt. Als Solist ist das Üben einsam, aber nicht der schlechteste Weg und man sollte ihn gehen, wenn man Lerngeschichten schreiben will.

 

Weiterführende Überlegungen

 

Prof. Lous Heshusius Forschungsarbeit bezog sich auf die Beziehung zwischen angehenden Lehrern und Schulkindern. Ihre Forschungsarbeit kann sehr wohl auf die gesamte Frühpädagogik übertragen werden und ist dort nützlich, wie ich dargelegt und an mir selbst erfahren habe. Unentbehrlich finde ich die Forschungsarbeit unter dem Aspekt, Babys verstehen zu müssen, ohne dass diese uns sprechend von ihren Bedürfnissen erzählen können.

 

Ich rede hier nicht von der häuslichen Situation von Babys und deren Eltern, sondern von Krippen und krippenähnlichen Einrichtungen. Dort treffen Babys auf fremde Personen, die sie nicht wählen können. Und diese Personen müssen zu Verbündeten des Kindes und seiner Eltern werden.

 

Babys zuhören und sie wirklich verstehen,dazu existiert wenig Literatur. Es gibt in englischer Sprache jedoch ein sehr hilfreiches Buch. Pennie Brownlee hatDance with me in the heartverfasst. Auch Ihre Website ist empfehlenswert und vermittelt Pädagogen ein anrührendes Bild von Feinfühligkeit gegenüber Babys. Man muss nur seine Scheu vor englischen Texten über Bord werfen. Ihre Sprache ist einfach und klar. Hier können Sie das Buch entdecken:

 

Childspace - Pennie Brownlee - Dance with me in the heart | Childspace

 

Eine ähnliche Herausforderung, wie sie die Kommunikation mit Babys darstellt, kommt auf uns zu, wenn wir Kindern begegnen, deren Sprache wir nicht verstehen. Teilnehmendes Bewusstsein braucht keine Worte. Man kann allen Kindern zuhören, die eine andere Sprache sprechen mit der Frage „Was könnten wir möglicherweise gemeinsam haben?“.

 

 

Ein wertvoller „zweckfreier“ Auftrag

Lous Heshusius hat ihren Studenten den Auftrag gegeben, ohne jeden pädagogisch begründeten Zweck, für eine Weile, mit einem Kind nur zu sein. Nicht das Kind, sondern nur das eigene Selbst sollte beobachtet werden.

Bei diesem Auftrag ging es nur um den Pädagogen. Es ging um seine Fähigkeit, das Funktionieren seinesSelbstwahrzunehmen. In dieser Aufgabe stand eben nicht im Vordergrund, herauszufinden, was das Kind als nächstes tun sollte oder wohin wir es auf die Dauer bringen wollen, welche Bedingungen zu schaffen sind für günstige Entwicklung.

Ich denke, die Fähigkeit, für eine Weile das eigene Selbst an die Seite zu stellen, ist ein wunderbarer Helfer, als erstes sein Herz zu hören statt den methodischen, didaktischen oder pädagogischen Zielen automatisch den ersten Platz einzuräumen. Hören und Sehen mit teilnehmendem Bewusstsein ist anfangs kein Dauerzustand. Man sollte es aber können, um DA zu sein, wenn es darauf ankommt. Es macht Freude, das kann ich einfach so aus eigener Erfahrung sagen.

 

 

 

 

Quellen und Anmerkungen

 

1) Betrifft Kinder 11-12/2011, Sibylle Haas, „Das Lernen feiern“, S.25

(Das Lernen feiern, Sibylle Haas, 2012, gibt einen umfassenden Einblick in die Lerngeschichten, wie sie in Neuseeland weiter entwickelt wurden und prakiziert werden).

2) Lous Heshusius, 1995, Listening to Children: ‘What Could We Possibly Have in Common?’ From

Concerns with Self to Participatory Consciousness, Theory into Practice, vol. 34 no. 2, pp. 117–123

3) Mit Herz und Seele leiten, Wendy Lee, 2012, Educational Leadership Project Ltd - Articles und http://bekanntesneuland.jimdo.com/ - Google-Suche

4) Betrifft Kinder 11-12/2011,Sibylle Haas, „Das Lernen feiern“, S.24

5) ebda S. 27

6) Planung der pädagogischen Arbeit rund um Lerngeschichten. Gepostet durch Lorraine Sands am 29. Nov. 2012 um 8.49 Uhr, Stichworte: Lerngeschichten, Lorraine Sands, Planungsgeschichten, Selbstreflektion, schick diesen Beitrag als e-mail, teile es mit auf Twitter oder Facebook /Lorraine Sands ist Leiterin einer Kindertagesstätte in Greerton und Fortbildnerin im EducationalLeadership Project (ELP) in Neuseeland, www.elp.co.nz.

7) Pennie Brownlee, 2008, Dance with me in the heart the adults´ guide to great infant-parent partnerships, published by The Newzealand Playcentre Federation, ISBN 978-0-908609-58-1

Pennie Brownlee - Home

 

*Ich benutze "Pädagoge", wenn alle Pädagogen gemeint sind, Männer und Frauen. Es ist bekannt, dass mehr Frauen in der Frühpädagogik arbeiten. Verstehen Sie bitte meine maskuline Form als Entgegenkommen für die Männer in der Frühpädagogik. Ich schreibe "Pädagogin", wenn ich konkrete Frauen in Neuseeland meine.

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Im Text erwähnte Links

Childspace - Pennie Brownlee - Dance with me in the heart | Childspace

Deutschland - bekanntes Neuland

www.elp.co.nz

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Ich danke Prof. Heshusius für die großzügige Freigabe ihres Artikels zur Fortbildung von Pädagogen in Deutschland.

und für Ihre freundliche Breitschaft zum Dialog.

 

 

 

http://bekanntesneuland.jimdo.com/

Isolde Kock

Diplom Sozialpädagogin / Berufsschuloberlehrerin a.D./

Fortbildung Lerngeschichten aus Neuseeland

 

Das Manuskript "Listening to Children" ist auch auf meiner Website zu finden.

 

 

https://bekanntesneuland.wixsite.com/my-site

 

Te Whâriki

Early Childhood Curriculum

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Das erste Te Whâriki von 1996